Spezialisierte Angebote bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

Seit Oktober 2021 verfügt die Evangelische Beratungsstelle über eine neue Fachkraftstelle bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Die Stelle wird durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert und umfasst 19,5 Stunden die Woche. Unsere Kollegin Enya Voskamp, Geschlechterwissenschaftlerin und systemische Therapeutin (i.A.), besetzt die neue Stelle und betreut, neben der bereits in der Beratungsstelle angebotene Beratung von Betroffenen, schwerpunktmäßig unterschiedliche Angebote in der Präventionsarbeit.

Was sexualisierte Gewalt für uns bedeutet und was die Beratungsstelle zu diesem Themenbereich anbietet, erfahren Sie in den folgenden Abschnitten. Ein offener und gleichzeitig sensibler Umgang mit dem Thema ist uns besonders wichtig, da wir sexualisierte Gewalt auf allen Ebenen enttabuisieren, sichtbar machen und entschlossen entgegentreten möchten.

 Begrifflichkeiten und Formen sexualisierter Gewalt

In Deutschland werden aktuell unterschiedliche Begriffe genutzt, um sexualisierte Handlungen, die gegen den Willen einer Person ausgeübt werden, zu beschreiben. Die Bezeichnungen „sexueller Missbrauch“ oder „Kindesmissbrauch“ sind dabei in der breiten Öffentlichkeit, den Medien und der Politik verbreitet und werden auch im Strafgesetzbuch aufgeführt. Dabei wird der Begriff „Missbrauch“ jedoch vielfach mit der Idee kritisiert, dass er neben dem Missbrauch auch einen legitimen Gebrauch suggeriert, welcher jedoch bei sexuellen Handlungen gegenüber Kindern grundsätzlich ausgeschlossen ist. Befürworter*innen des Ausdrucks hingegen beschreiben den Missbrauch nicht als Gegensatz zum Gebrauch, sondern setzten ihn zur Beschreibung des Vertrauensmissbrauchs ein, welcher bei sexuellen Übergriffen immer durch die Täter*innen stattfindet.

Alternativ zum „sexuellen Missbrauch“ wird der Begriff „sexualisierte Gewalt“ schon seit längerer Zeit in der Wissenschaft genutzt und setzt sich auch in der Fachpraxis und der Öffentlichkeit immer mehr durch. Die Bezeichnung stellt dabei die Gewalttat als solche ins Zentrum, welche durch sexuelle Übergriffe und Handlungen entsteht. Um Macht auszuüben, werden sexuelle Handlungen ausgeführt, die immer ein Ausdruck von Gewalt sind und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Menschen verletzen.

Als Evangelische Beratungsstelle haben wir uns dazu entschieden, den sozialwissenschaftlichen Begriff der sexualisierten Gewalt zu nutzen, da wir die Gewaltausübung an Kindern und Jugendlichen durch sexualisierte Handlungen sichtbar machen möchten und in unserem Denken alle Handlungen mit einbeziehen wollen, die verletzend, degradierend, objektifizierend und entwicklungspsychologisch problematisch, aber nicht unweigerlich strafrechtlich verfolgbar sind.

Sexualisierte Gewalt muss dabei nicht immer unweigerlich körperliche Spuren hinterlassen, da sie sich in unterschiedlichsten Formen zeigen kann. Auf der verbalen Ebene können beispielsweise anzügliche Bemerkungen, mehrdeutige Nachrichten und Anspielungen mit sexualisiertem Inhalt sowie obszöne Worte oder Gesten als Grenzverletzung wahrgenommen werden. Auf nonverbaler Ebene zählen sowohl aufdringliche und unangenehmen Blicke als auch das unerwünschte Zeigen oder Zusenden von Medien mit pornografischen Inhalten oder auch Missbrauchsdarstellungen dazu. Physisch zählen u.a. sexualisierte Berührungen und Handlungen, die ohne die Einwilligung des Gegenübers stattfinden, vom Betasten und Manipulieren des Körpers an sich, über die Geschlechtsteile bis hin zur Vergewaltigung, als sexualisierte Gewalt.

Sexualisierte Gewalt findet meist in einem Abhängigkeitsverhältnis statt und kommt in jeder Gesellschaftsschicht vor. Dabei finden zwei Drittel aller Übergriffe in nahen sozialen Beziehungen, wie in der Familie, im Freundeskreis oder im nahen sozialen Umfeld (Sportverein, Arbeitsplatz etc.) statt. Täter*innen sind hierbei nicht unweigerlich nur Erwachsene, sondern potentiell auch Gleichaltrige. Oftmals planen Täter*innen ihre Handlungen und üben diese bewusst aus. Nur selten wird sexualisierte Gewalt aufgrund einer psychischen Erkrankung ausgeübt.

Jede sexualisierte Handlung mit bzw. an Kindern und Jugendlichen, besonders unter 14 Jahren, wird als sexualisierte Gewalt gewertet, da davon ausgegangen wird, dass diese aufgrund ihrer körperlichen, seelischen, geistigen und sprachlichen Entwicklung nicht wissentlich zustimmen können. Kein Zeichen eines Kindes oder einer jugendlichen Person darf als Zustimmung verstanden werden und legitimiert sexualisierte Handlungen. Täter*innen nutzen hier ihre Autorität, Macht und ihr Vertrauen gegenüber den Minderjährigen aus, um eigene sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen und tragen somit die alleinige Verantwortung.

Folgen sexualisierter Gewalt

Jede Form der sexualisierten Gewalt hinterlässt Spuren im eigenen Erleben und Erinnern der Betroffenen und fügt ihnen emotionale Verletzungen zu, da sie durch die Tat mit kaum zu bewältigenden Gefühlen von Scham, Schuld, Ekel, absoluter Hilflosigkeit und Angst konfrontiert werden. In der Notsituation der Gewalterfahrung werden meist Überlebensstrategien entwickelt, die es ermöglichen diese zu überstehen und die Betroffenen meist noch lange danach tief prägen und auf unterschiedlichen Ebenen ihr Leben bestimmen. Dabei können Betroffene unterschiedlich auf sexualisierte Gewalt reagieren und daraus auch unterschiedliche, individuelle Symptome entwickeln. Diese Symptome, die auf sexualisierte Gewalterfahrungen hindeuten, sind somit nicht immer eindeutig erkennbar. Da körperliche Verletzungen, zum Beispiel im Genital- oder Analbereich, nur selten vorkommen und schwer nachweisbar sind, brauchen vor allem Kinder und Jugendliche ein besonders aufmerksames soziales Umfeld, das Verhaltensveränderungen (wie Ängstlichkeit, Aggressivität, Leistungsabfall, Rückzugstendenzen, Konzentrationsschwäche oder sexualisiertes Verhalten) und psychosomatische Beschwerden (wie Kopf- oder Bauchschmerzen, Schlafstörungen oder Hauterkrankungen) sensibel wahrnehmen und auf diese reagieren kann, um den Betroffenen entsprechende Wege zur Hilfe aufzuweisen.

Wichtig ist dabei jedoch immer, dass auch andere belastende Erfahrungen eine Ursache für Verhaltensänderungen und Beschwerden sein können und psychosomatische Beschwerden nicht allein mit sexualisierter Gewalt in Verbindung zu setzten sind.

Beratung bei sexualisierter Gewalt

Die Beratung von Betroffenen sexualisierter Gewalt gehört zum festen Beratungsangebot der evangelischen Beratungsstelle Bonn. Traumasensibel unterstützen wir u.a. bei der Erstversorgung, Stabilisierung und Klärung der Situation sowie bei der Suche nach bzw. der Überbrückung hin zur langfristigen therapeutischen Anbindung bei niedergelassenen Traumatherapeut*innen.

Prävention von sexualisierter Gewalt

Zur Prävention von sexualisierter Gewalt bieten wir als Beratungsstelle unterschiedliche Angebote, besonders für Kinder und Jugendlichen, an.

Im Vordergrund stehen dabei Angebote, die zur Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls beitragen, dabei helfen die eigenen Emotionen wahrzunehmen und das Vertrauen in eigene Gefühle stärken. Die Selbstbestimmung und Wertschätzung des eigenen Körpers und der eigenen Wahrnehmungen sollen gefördert werden, damit eigene Grenzen, physisch wie psychisch, wahrgenommen und gesetzt werden können.

Zudem möchten wir durch die Präventionsarbeit zu einer Auseinandersetzung und einem bewussten Umgang mit gesellschaftlichen und medialen Darstellungen von Geschlecht, Sexualität, Identität und Beziehung anregen, damit eigene Denk- und Handlungsmuster hinterfragt und Sexismus sowie geschlechtsbezogene Diskriminierungen in Gesellschaft und Sprache aufgedeckt und entschieden entgegengetreten werden können.

Hier eine Auswahl unserer Projekte:

Bei Bedarf können Sie diese gerne bei uns anfragen!